Stefan Rahmstorf: Die kritische Schwelle, der “Kipp-Punkt” in der Westantarktis wurde inzwischen überschritten
ClimateState hat Stefan Rahmstorf, den Leiter der Abteilung Erdystemanalyse am Potsdam Institute […]
ClimateState hat Stefan Rahmstorf, den Leiter der Abteilung Erdystemanalyse am Potsdam Institute for Climate Impact Research (PIK), interviewt.
Robert Bristow: Um CO2-Emissionen unter Kontrolle zu bringen – glauben Sie, dass eine bestimmte Form von Geoengineering dabei wünschenswert ist?
Stefan Rahmstorf: Der Begriff Geoengineering oder Klimaengineering umfasst ein breites Spektrum von Ideen. Ich würde von jeder Form des Eingriffs in die Sonnenstrahlung abraten, da dies große Risiken mit sich bringt und nur Symptome und nicht die Ursache des Problems kuriert. Das Klimasystem würde dadurch instabil in dem Sinne, dass der Mensch diese Maßnahmen Jahrtausende lang fortsetzen müsste. Ansonsten würde innerhalb von Wochen die künstlich unterdrückte Erwärmung zuschlagen.
Versuche, überschüssiges Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen, würde die Ursache des Problems angehen und wäre daher an sich eine gute Idee. Allerdings kämpft man dabei mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Es ist schwierig und teuer, eine Substanz zurück zu bekommen, die man vorher um den gesamten Planeten extrem verdünnt verteilt hat (die Konzentration misst man in Teilen pro Million). Daher ist es viel klüger und billiger, das CO2 gar nicht erst in die Atmosphäre zu blasen.
Chris Machens: Was meinen Sie wären die drei wichtigsten Massnahmen, die jeder Staat umsetzen sollte, um die besten Klimaziele zu erreichen?
Stefan Rahmstorf: Man kann das nicht so allgemein sagen, weil unterschiedliche Länder natürlich ganz verschiedene Voraussetzungen und Probleme haben. Außerdem gibt es beim Klimaproblem eben leider nicht die zwei oder drei Maßnahmen, mit denen sich das Problem lösen lässt, da fast alle unsere wirtschaftlichen Aktivitäten, unser Wohnen, unsere Mobilität mit Emissionen verbunden sind.
Ich denke der erste Schritt ist sicher, die Dringlichkeit des Problems wirklich zu erkennen und ernst zu nehmen – es gibt zuviele Lippenbekenntnisse ohne wirkliche Folgen, zu viel “Auf-die-lange-Bank-Schieben”. Dabei befinden wir uns längst in einem Wettlauf gegen die Zeit beim Kampf gegen die globale Erwärmung. Es wird – gerade in Deutschland und Europa – ja schon einiges getan und die Emissionen sind hier gesunken, aber es reicht noch nicht um die Erwärmung zu stoppen. Die Priorität stimmt noch nicht.
Die kritische Schwelle, der “Kipp-Punkt”, in der Westantarktis ist inzwischen überschritten. Der unaufhaltsame Verfall dieses riesigen Eisschildes ist inzwischen im Gange und wird den globalen Meeresspiegel langsam aber unerbittlich um mehrere Meter steigen lassen.
Der Thwaites Gletscher, hat das potential den global Meerespiegel ansteigen zu lassen.
Chris Machens: Gibt es für dich ein bestimmten Vorgang im Klimasystem, der spezielle Aufmerksamkeit erfordert, und wenn ja welcher wäre das?
Stefan Rahmstorf: Was noch zu wenig Aufmerksamkeit erhält sind die Risiken für Überraschungen und nicht-lineare Effekte. Wir verstehen die Grundlagen der globalen Erwärmung schon seit Jahrzehnten gut, vor allem die Tatsache, dass unsere Emissionen zum globalen Temperaturanstieg führen. Das ist simple Physik. Die vielfältigen Folgen sind dagegen nicht so gut verstanden. Wer in den letzten Jahrzehnten (wie John Mercer schon in den 1970ern) vor einem Eisschild-Kollaps in der Westantarktis gewarnt hat, wurde schnell als alarmistisch abgestempelt.((West Antarctic ice sheet and CO2 greenhouse effect: a threat of disaster | http://www.nature.com/nature/journal/v271/n5643/abs/271321a0.html | J. H. Mercer | Nature 271, 321 – 325 | DOI: 10.1038/271321a0 | January 26, 1978))
Doch dieses Frühjahr haben mehrere Forschergruppen unabhängig bestätigt, dass die kritische Schwelle, der “Kipp-Punkt”, in der Westantarktis inzwischen überschritten wurde. Der unaufhaltsame Verfall dieses riesigen Eisschildes ist inzwischen im Gange und wird den globalen Meeresspiegel langsam aber unerbittlich um mehrere Meter steigen lassen. Es gibt eine Reihe weiterer Kipp-Punkte im Klimasystem – Großrisiken, über die nicht gerne gesprochen wird.Auch die IPCC-Berichte haben solche Effekte immer wieder unterschätzt.
Chris Machens: Die Medien berichten bekanntlich ja nicht immer ganz genau oder ausgewogen zum Klimawandel, könnte man mit der Einführung von Standards für die Berichterstattung hier gegensteuern, oder wie löst man dieses Dilemma?
Stefan Rahmstorf: Meines Erachtens brauchen wir gute Fachjournalisten und ein funktionierendes Fact-Checking in den Redaktionen.((Klimawandel, Die Ausgewogenheitsfalle und andere Probleme | http://www.pik-potsdam.de/~stefan/Publications/Other/rahmstorf-netzwerk-recherche-2012.pdf | Stefan Rahmstorf | 2012)) Eigentlich eine gute Tradition von Zeitungen, die aber gerade bei wissenschaftlichen Fragen nicht immer greift.
Chris Machens: Hast du eine Nachricht für die Menschen die den Klimawandel ernst nehmen?
Stefan Rahmstorf: Darüber sprechen. In der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Die norwegische Sozialwissenschaftlerin Kari Norgaard hat schön herausgearbeitet, wie bewusst wir die Klimakrise aus unseren Alltagsdiskursen verdrängen.((Living in Denial Climate Change, Emotions, and Everyday Life | http://mitpress.mit.edu/books/living-denial | Kari Marie Norgaard | The MIT Press | 2011)) Weil wir uns hilflos und mitschuldig fühlen oder auch nicht als Moralapostel und Spielverderber daherkommen wollen.
Trotzdem müssen wir Wege finden, darüber zu sprechen und auch in unserem Wirkungskreis das Thema positiv anzupacken. Aufs Rad umsteigen, Ökostrom beziehen, im Nahbereich Ferien machen usw., und dabei auch merken und weitersagen, dass dies nicht Verzicht bedeutet. Ein nachhaltiger Lebensstil mit Entschleunigung und weniger Konsum bringt auch Freude und Lebensqualität.
Chris Machens: Danke für das Interview.
Weiterführende Links, Bücher von Stefan Rahmstorf:
Wolken, Wind & Wetter (Die Kinderuni), The Climate Crisis, Our Threatened Oceans / Wie bedroht sind die Ozeane?, Der Klimawandel.